Jean-Claude Juncker au sujet du Conseil européen et du cadre financier pluriannuel 2014-2020

Bettina Klein: Am Telefon begrüße ich den Premierminister von Luxemburg Jean-Claude Juncker, uns allen auch bekannt als Vorsitzender der Eurogruppe bis zum vergangenen Monat. Guten Morgen, Herr Juncker!

Jean-Claude Juncker: Guten Morgen!

Bettina Klein: Haben wir heute um 15:00 Uhr schon so eine Art Kompromiss, wenigstens einen Vorgeschmack auf einen Kompromiss für den EU-Haushaltsstreit?

Jean-Claude Juncker: Der Ratsvorsitzende wird gegen 15:00 Uhr uns seine letzten Vorstellungen unterbreiten. Ich gehe davon aus, dass diese Fortschritte, die er in seinem Vorschlag zeigen wird, so sein werden, dass wir, wären wir vernünftig, relativ zügig zu einer Einigung kommen würden. Weil wir aber nicht vernünftig sind, wird das etwas länger dauern.

Bettina Klein: Wie wahrscheinlich ist es denn aus Ihrer Sicht überhaupt, dass ein Kompromiss gefunden wird? Der letzte EU-Gipfel zu diesem Thema im November ging ja unverrichteter Dinge auseinander.

Jean-Claude Juncker: Das war ein Vorbereitungsgipfel, von dem ich nie dachte, dass er zur Einigung führen könnte. Dieser Gipfel heute Morgen ist der ernsthafte Versuch, muss der ernsthafte Versuch sein, zu Potte zu kommen. Und ich denke mir, dass sich die Positionen der verschiedenen Staaten so weit angenähert haben werden bis heute Abend, dass dies auch gelingen wird. Wir müssen ja auch nach außen hin deutlich machen, dass wir in Europa noch fähig sind, Beschlüsse zu fassen, anstatt nur noch Beschlüsse zu vertagen.

Bettina Klein: Ja. Schauen wir auf einige der Positionen: Deutschland und Großbritannien hatten ja damals Einsparungen von bis zu 30 Milliarden Euro gefordert, konnten sich damit aber nicht durchsetzen. Haben Sie Vorstellungen davon, in welcher Größenordnung diese Einsparungen jetzt angeboten werden könnten?

Jean-Claude Juncker: Ich bin mir nicht ganz klar darüber, welche zusätzlichen Einsparungen der Ratsvorsitzende Herman Van Rompuy in Vorschlag bringen wird. Aber er muss im Direktvergleich zu seinen Vorschlägen aus dem Monat November die Kreditmasse noch einmal nach unten korrigieren. Dort gibt das dann aber irgendwo natürlich Absenkungsgrenzen. Das reicht ja nicht, zu sparen. Das ist notwendig auch wegen der Haushaltskonsolidierungsanstrengungen, die in allen Mitgliedsstaaten unternommen werden. Moderater Haushalt muss sein, aber wir müssen auch deutlich machen, wenn wir weiter absenken, auf welche Politiken, die wir fest verabredet haben, wir dann verzichten. Es ist ja nicht nur ein Fernspiel, es ist überhaupt kein Spiel. Es ist eine sehr ernsthafte Angelegenheit. Wir haben bestimmte Pläne, die laufen, bestimmte Programme sind unterwegs, bestimmte Initiativen werden genommen. Wenn wir weiter absenken, wenn wir drastisch absenken, müssen wir den Menschen auch erklären, auf welche Politiken, die verabredet sind, wir verzichten.

Bettina Klein: Wenn wir darauf schauen, dass es ein Ergebnis heute geben sollte: Beobachter in Brüssel meinen ja, es sollte zumindest eine gewisse Symbolik erhalten sein. Heißt, damit der britische Premierminister Cameron zu Hause etwas vorweisen kann, das - salopp formuliert - wenigstens nach Einsparung aussieht. Ist das auch aus Ihrer Meinung wichtig?

Jean-Claude Juncker: Das ist ohne jeden Zweifel wichtig. Aber das kann doch nicht den Verhandlungsablauf im Detail bestimmen. Jeder hat ja - um Ihre Ausdrucksweise zu wiederholen - sein Gesicht zu wahren. Es geht hier nicht um die Position, die einzelne Premierminister einnehmen müssen, wenn sie wieder in ihren Hauptstädten ankommen. Es geht doch hier darum, ob wir es schaffen, die Politiken, die vereinbart wurden, auch zügig mit den notwendigen Geldvolumina zu hinterlegen. Es geht hier um richtige inhaltliche Politik, es geht hier nicht um Schaulauf.

Bettina Klein: Aber noch mal die Frage: Wie weit muss man zum Beispiel dem britischen Premierminister entgegenkommen, damit Zustimmung von dieser Seite gewährleistet ist?

Jean-Claude Juncker: Er muss uns auch entgegenkommen.

Bettina Klein: Inwiefern?

Jean-Claude Juncker: Wir brauchen eine Einigung zu 27 und wir brauchen auch die Zustimmung des Europäischen Parlamentes. Es wird nicht nur in London übersehen, dass wir in einer völlig anderen Verhandlungsausgangsposition uns befinden. Nach dem Lissabonner Vertrag muss das Europäische Parlament der Finanzplanung zustimmen. Sie müssen also eine Einigung unter 27 Staats- und Regierungschefs finden, wir brauchen aber auch eine Einigung mit dem Europäischen Parlament. Und ich bin doch sehr dafür, dass man sich in London und sonst wo sehr genau ansieht, was das Parlament in den letzten Wochen zum Ausdruck gebracht hat. Das Parlament zählt!

Bettina Klein: Was, wenn London Nein sagt?

Jean-Claude Juncker: Ja, was, wenn die anderen Nein sagen? Es kann ja jeder Nein sagen. Das Wort Nein dekliniert sich in mehreren Sprachen.

Bettina Klein: Ein wichtiger Streitpunkt, Herr Juncker, sind die Landwirtschafts- und Strukturbeihilfen. Den wollen die von diesen Zahlungen stark betroffenen Staaten nicht antasten. Sehen Sie da eine Entwicklung?

Jean-Claude Juncker: Man muss sehr in den Agrarhaushalt, der noch in den 80er-Jahren 80 Prozent des gesamten EU-Haushaltes darstellte, unter die 40-Prozent-Grenze abgesenkt wurde ... Die Vorschläge, die die Kommission gemacht hat, und die Vorschläge, die der Ratsvorsitzende im November gemacht hat, sind deutlich niedriger angesetzt als die für Agrarpolitik zur Verfügung stehenden Geldmittel in der Periode 2007, 2013. Es kommt also ohnehin zu einer Absenkung des Agrarhaushaltes. Und ich denke nicht, dass man die Vorschläge, die wir im November vorliegen hatten, noch einmal nach unten korrigieren kann.

Ich weiß zwar, dass es in vielen Mitgliedstaaten so ist, dass jede Kritik an der Agrarpolitik dankbar von einem Publikum aufgenommen wird, das sich in der Sache nicht sehr genau auskennt. Ich mache trotzdem gerne darauf aufmerksam, dass dies eine strategische Frage ist, ob wir es schaffen, dass wir in Europa die Ernährungssicherheit garantieren können. Wir haben in Europa lange Jahrzehnte gebraucht nach Kriegsende, bevor wir uns wieder selbst ernähren konnten. Es ist von strategischer Bedeutung, dass wir die Ernährungsautonomie Europas sicherstellen, anstatt abhängig zu werden vom Öl der einen und von den Nahrungsmitteln der anderen. Wir müssen das selbst leisten.

Bettina Klein: Nehmen wir doch einen anderen Punkt, Herr Juncker: In der Zwischenzeit war auch wieder Gegenstand der Diskussion die Kosten für die EU-Verwaltung, darunter auch die Gehaltskosten für EU-Beamte und Mitarbeiter. Die machen nur sechs Prozent des gesamten EU-Budgets aus, aber über sieben Jahre gerechnet dann eben doch noch immerhin 63 Milliarden. Also, der reine Populismus nach Ihrer Meinung, das überhaupt anzuprangern?

Jean-Claude Juncker: Also, dass man über die Gehälterstruktur der EU-Beamtenbesoldung redet, ist ja nicht verboten. Aber so zu tun, als ob wesentliche Einsparungen im Bereich der Verwaltungskosten möglich wären, ist einfach nicht sachgerecht. Ohnehin kommt es zu einer Absenkung der Verwaltungskosten. Verwaltungskosten, das klingt so technokratisch, so von jeder Wirklichkeit entfernt - auch hier geht es um richtige Politik! Wenn bei Verwaltungskosten zu sehr gespart wird, dann passiert, dass an den Sitzorten Brüssel und Luxemburg bestimmte Leistungen nicht mehr erbracht werden können. Man beklagt sich in Deutschland, wie ich finde, zu Recht sehr oft darüber, dass Sitzungsberichte, überhaupt EU-Dokumente nicht rechtzeitig in deutscher Sprache vorliegen oder überhaupt nicht in deutscher Sprache mehr vorgelegt werden. Wenn man bei Verwaltungskosten einspart, wird es weniger deutsche Übersetzungen geben.

Bettina Klein: Aber Sie haben schon ein Grundsatzverständnis dafür, dass man sagt, wir müssen uns ganz genau angucken, wo man eventuell einen Verwaltungsapparat etwas schrumpfen lässt? Wir haben die Debatte in Deutschland ja im Augenblick auch, auch die Diskussion über Geber- und Nehmerländer. Also ist das sozusagen ein wichtiger Punkt, wo - auch wenn heute vielleicht da noch keine Einigung zustande kommt - man wirklich dranbleiben muss und sehen muss, ob da gespart werden kann?

Jean-Claude Juncker: Also, ich bin überhaupt nicht dagegen, dass man auch in Sachen Verwaltungskosten weitere Einsparungen vornimmt. Ich möchte nur haben, dass man deutlich nach außen klarmacht, welche Arbeiten, welche Leistungen dann nicht mehr erbracht werden können. Wenn wir darauf verzichten, wenn wir auf Übersetzungen in alle Amtssprachen verzichten wollen, wenn wir nicht mehr sicherstellen wollen, dass rechtzeitig in allen Sprachen die Arbeitsdokumente vorgelegt werden, dann habe ich damit kein Problem. Als Luxemburger hat man kein Problem, französische, deutsche oder englische Dokumente zu lesen, andere haben damit ein Problem. Dann darf man sich nicht beklagen! Ich bin dafür, dass man einspart, aber dann muss man aufhören, Klagelieder anzustimmen, wenn bestimmte Leistungen nicht mehr erbracht werden können!

Bettina Klein: Herr Juncker, kurz zum Schluss. Inzwischen machen sehr wohl ja Szenarien eines Scheiterns dieses EU-Gipfels die Runde. Der Vorsitzende der EVP-Fraktion im Europaparlament, Daul, wird zitiert mit den Worten, die man zusammenfassen könnte mit: Alles halb so wild, dann arbeiten wir eben ein paar Jahre auf der Basis der jährlichen Haushalte. Wird es am Ende also gar nicht so schlimm sein, wenn auch dieser EU-Gipfel nicht zu einer Einigung kommt?

Jean-Claude Juncker: Also, wenn wir zu keiner Einigung kommen, dann wird man sich aufgrund der Rechtslage auf ganz andere Finanzierungswege zurückziehen müssen. Ich hielte das trotzdem nicht für sehr zielführend. Wir müssen deutlich machen, sowohl nach innen als auch nach außen, dass wir imstande sind, uns die Finanzmittel an die Hand zu geben, die wir brauchen, um die verabredeten Politiken auch durchführen zu können. Die Auswirkung einer Nichteinigung wäre desaströs angesichts der immer noch herrschenden Fragilität der Finanzmärkte. Angesichts vieler Unsicherheiten, die es in der Welt gibt, wäre eine Einigung heilsam für Europa und für die Außendarstellung der Europäischen Union ...

Bettina Klein: Wäre heilsam, sagt der Premierminister von Luxemburg Jean-Claude Juncker heute Morgen im Deutschlandfunk mit Blick auf eine wünschenswerte Einigung bei diesem EU-Gipfel. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Juncker!

Jean-Claude Juncker: Ich bedanke mich!

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