Jean-Claude Juncker au sujet de la présidence de l'Eurogroupe

HR-Info: Herr Ministerpräsident Juncker, träumen Sie, in der Nacht meine ich?

Jean-Claude Juncker: Also ich bin auch Tagträumer, versuche das aber zeitmässig nicht überwuchern zu lassen. Und an meine nächtlichen Träume kann ich mich meistens nicht erinnern. Es gibt sie aber.

HR-Info: Wenn Sie sagen, Sie sind Tagträumer. Träumen Sie da auch manchmal vom Euro oder von Europa?

Jean-Claude Juncker: Nein, ich, wenn ich sage, ich bin Tagträumer, dann wollte ich eigentlich, um das mal positiv zu fassen, zum Ausdruck bringen, dass ich über den Tag hinaus sinniere. Und, ja, der Euro beschäftigt mich schon mehrere Stunden am Tag. Das ist nicht im Minutentakt zu bewältigen.

HR-Info: Das kann einen beschäftigen. Es können ja zwei Sachen sein. Es kann sein, dass man sich den Kopf darüber zerbricht, ja. Es kann etwas Alptraumhaftes haben. Aber es kann ja auch was sehr Erfreuliches haben, also, dass man Visionen zum Beispiel entwickelt, oder auch mal über Krisenszenarien hinaus [wird unterbrochen]

Jean-Claude Juncker: Ja, da kommt alles zusammen. Also alle diese Verhaltensformen und Benehmensformen, die Sie hier in Aufstellung bringen, gehören schon dazu. Ich muss mich beschäftigen mit akuten Krisen. Die es gibt und die man dann während des Tagesablaufs versucht in den Griff zu kriegen. Das gelingt mal und dann wird die Krise nicht augenscheinlich für andere und es gelingt nicht, und dann wird sie halt von jedem zur Kenntnis genommen. Ich hab aber keine Angstzustände, dergestalt, dass ich da in Schweißperlen gebadet durch den Alltag laufen würde... Alpträume hat es nie gegeben.

HR-Info: Wir fragen das mit dem Träumen auch deshalb, weil uns interessieren würde, ob träumen, man könnte ja abstrakter sagen, Visionen, für einen Politiker wichtig sind. Als Handlungsfakultät.

Jean-Claude Juncker: Ja, wenn man sich nicht regelmäßig sich selbst gegenüber vergewissert, dass es bestimmte Ziele, Sie können auch sagen, Ambitionen gibt, an denen man hängt und die man nicht einfach zur Disposition stellen möchte, dann muss ich schon sagen, dass ich zu der Übung auch permanent fähig bin. Ich bin nicht gerne auf einer Strecke unterwegs von der ich nicht weiß, wo sie hinführt oder nicht wüsste, wo sie hinführen könnte. Ob das Visionen sind, weiß ich nicht. Aber es sind Überlegungen über den Tag hinaus, die man immer wieder führen muss, damit man das Tagesgeschäft beherrschen kann.

HR-Info: Wenn Sie jetzt das vielleicht mal versuchen, das so auf den Punkt zu bringen, Sie sagen, es geht Ihnen schon ums Große Ganze. Die europäische Idee. Können Sie die in zwei Sätzen, in drei Sätzen zusammenfassen? Was Jean-Claude Juncker mit Europa als Idee, Vision verbindet?

Jean-Claude Juncker: In 3 Sätzen geht das nicht, aber ich werde es trotzdem versuchen. Für mich bleibt Europa immer noch ein Friedenswerk. Damit möchte ich sagen, dass ich von meinem Vater, der Soldat im zweiten Weltkrieg war, gelernt habe, dass es überhaupt keine derartig langen Sitzungen geben kann, dass sie schlimmer wären als zwei Minuten Krieg. Daran halte ich mich.

Ich bin der Auffassung, dass wir Europäer, EU-Europäer und auch Europäer über den Tellerrand der EU hinaus, uns darum bemühen müssen, dass wir möglichst viel über andere Europäer wissen. Es reicht nicht, sich nur mit dem eigenen Land zu beschäftigen, sonst stößt man schnell an die Grenzen. In Luxemburg kriegt man das übrigens schneller als in anderen größeren Flächenstaaten mit. Ich habe stets mir eingebildet, mir auch sehr oft selbst vorgesagt, dass die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion, der Euro also, Friedenspolitik mit heutigen Mitteln ist. Es ist eigentlich der Beitrag, den unsere Generationen dem Werk der europäischen Gründerväter hinzufügen können.

Ergo, muss man das was wir heute tun, prüfen vor dem Hintergrund der Grundarchitektur, die in den 50-er Jahren und danach gelegt wurde. Und auch muss man sich fragen, ob man zukunftsorientiert genug handelt.

Mein vierter Satz wäre - weil ich hab ja jetzt schon 3 erweiterte Sätze gehabt - ja, wissen Sie, ich bin der Auffassung, Politik hat sehr viel mit Geographie und Demographie zu tun. Wenn ich mir die europäischen Dinge ansehe, so wie sie sich entwickeln, wird das so sein, dass wir als demographischer Faktor in der Welt, in der zukünftigen Welt kaum noch zählen werden. Wir sind eh der kleinste Kontinent. Es hat am Anfang des 20. Jahrhunderts 20 Prozent Europäer weltweit gegeben. Am Anfang dieses Jahrhunderts, des 21. Jahrhunderts 11 Prozent; Mitte des Jahrhunderts werden wir 7 Prozent sein. Und Ende des Jahrhunderts 4 Prozent. Wir werden immer weniger zahlreich. Wirtschaftlich werden wir weniger bedeutend als wir dies heute sind. Und daraus ziehe ich die Schlussfolgerung, dass jetzt nicht der Moment gekommen ist, die Europäische Union wieder in kleinste Kleinteile zu zerlegen, sondern dass jetzt der Moment gekommen ist wo wir Europa so aufstellen müssen, dass es uns gelingen wird, in der Welt von Morgen noch überhaupt zur Kenntnis genommen zu werden.

HR-Info: Da haben Sie jetzt zu Recht gesagt, Sie haben jetzt mehr Sätze gebraucht zur Antwort. Kein Problem. Aber ist es möglicherweise auch ein bisschen das Problem, wenn man Europa im Moment vermitteln will? Dass man es halt nicht so schnell und kurz erklären kann? Und ist es möglicherweise aus Ihrer Sicht auch ein Grund dafür, dass viele europäische Bürgerinnen und Bürger auch mit dieser Europaidee im Moment fremdeln?

Jean-Claude Juncker: Also kaum ein Medium stellt einem genügend Zeit zur Verfügung um über nationale Problemlagen ausführlich zu berichten, weil wir in einer schnelllebigen Zeit leben. Weil wir in einem Moment des Sofortismus angekommen sind. Ich muss sofort etwas jetzt sagen, wieso es passiert ist, wieso man etwas hätte verhindern können, müssen. Und was man tut um zu verhindern, dass es sich nochmal wiederholt oder [gëtt ënnerbrach]

HR-Info: [inaudible]...Skepsis gegenüber der europäischen Idee.

Jean-Claude Juncker: Nein nein nein, ich bin genau in dem Thema. Wenn man nationale Politik nicht mehr komplett darstellen und erklären kann, ist es umso schwieriger, die europäischen Dinge a) zu beschreiben, b) zu erklären und c) zu zeigen was man mit diesen Dingen tut, damit die Dinge nicht schlimmer werden. Und weil die Distanz zwischen den Bürgern und der Politik auch im nationalen Rahmen groß ist, und diese Distanz zwischen Europapolitik und den Menschen noch um ein Vielfaches grösser ist, weil Brüssel sehr weit entfernt erscheint, ist das Misstrauen, darum geht es ja, in die Politik, die es im nationalen Rahmen gibt, umso größer wenn es um europäische Dinge, Probleme geht. Wenn ich in Brüssel ankomme, stehen ein paar Hundert Kameramänner und viele Journalisten vor der Eingangstür des Rates und man sagt mir, erklären Sie mir bitte in 15 Sekunden die Zukunft der Welt. Und wenn ich nicht ausschöpfend Auskunft erteilt habe, kommt abends in den Nachrichten die Meldung, dass Juncker zu vielen Problemen nicht Stellung nehmen wollte.

HR-Info: Sie haben ja jetzt 5 Jahre Krisenmanagement hinter sich.

Jean-Claude Juncker: Wie viel?

HR-Info: Ja, wenn man das Akute...Vorher war es ja vielleicht auch ab und zu mal turbulent.

Jean-Claude Juncker: Also, das war nie Vergnügungssteuerpflichtig. Aber die letzten Jahre waren etwas anstrengender als die anderen.

HR-Info: Haben Sie keine Lust mehr?

Jean-Claude Juncker: Nein.

HR-Info: Warum nicht?

Jean-Claude Juncker: Weil ich müde geworden bin, weil ich diese Doppelbelastung Premierminister in Luxemburg - auch wenn Luxemburg nur ein kleines Land ist, obwohl Grossherzogtum - und den Vorsitz der Eurogruppe einfach zeitlich nicht mehr auf eine Schiene bringe und deshalb ist es gut, wenn jetzt frisches Blut durch die Euroadern fließt.

HR-Info: Worüber haben Sie sich denn vielleicht am meisten geärgert in den letzten 8 Jahren oder vielleicht auch über wen?

Jean-Claude Juncker: Ich hab mich darüber geärgert, weil ich darüber auch sehr erbost war, dass man manchmal aus, ja, innenpolitischen Beweggründen andere Länder anders beschreibt als man sie kennt. Wenn man sich um Wissen diese Länder betreffend ernsthaft bemüht hat - über Griechenland waren auch im deutschsprachigen Raum Zwischenzungenschläge manchmal zu hören, die der eigentlichen Befindlichkeit der Griechen nicht gerecht wurden - man muss ja sehen, dass in Griechenland nun wirklich eine Austeritätspolitik zur Anwendung gebracht werden musste, die vor allem die Einkommensschwachen, die Ärmeren in Griechenland, davon gibt es viele, sehr stark in Bedrängnis gebracht hat.

HR-Info: Meinen Sie, dass dieses Image des faulen Griechen, oder wie Sie sagen, Sachen die Sie geärgert haben im deutschsprachigen Raum...?

Jean-Claude Juncker: Ja ich hab mich sehr intensiv um Griechenland gekümmert. Und ich sehe schon die Not und, ja, das Leiden vieler in Griechenland. Nun kann ich hundertmal sagen das ist deren eigene Schuld, ich kann tausendmal sagen, die haben ihre Regierungen die versagt haben selbst gewählt, und dass einige Regierungen versagt haben steht ja auch außer Frage, aber dass viele schmalbrüstige Griechen jetzt die Anpassungslast in sehr erheblichem Masse tragen, ist etwas was mich auch traurig macht, wenn parallel dazu in anderen Ländern die Mähr herumgereicht wird als ob die Griechen sich nicht anstrengen würden. Ich sag nicht, dass die reichen Griechen sich intensiv angestrengt haben, aber die kleinen Griechen. Wenn wir hier nicht im Rundfunk wären würde ich sagen, die armen Schweine.

HR-Info: Hätte man denen das denn nicht ersparen können, wenn man vielleicht früher drauf hingewiesen hätte, dass da in Griechenland so manches schiefläuft?

Jean-Claude Juncker: Ich hab eben gesagt, dass der Eurogruppenvorsitzende muss auch schweigen können, wenn schweigen angesagt ist. Oder habe ich das noch nicht gesagt, ich hoffe ich habe das schon gesagt.

HR-Info: Nein das haben sein noch nicht gesagt.

Jean-Claude Juncker: Ich sage jetzt, der Eurogruppenvorsitzende muss auch schweigen können. Sehen Sie die Sache ist so, ich mag den Eindruck nicht, der geschürt wird, als ob wir nicht hätten kommen sehen was gekommen ist. Hatten wir nämlich. Die Eurogruppe ist eine informelle Gruppe und wir haben den griechischen Kollegen, den wechselnden griechischen Kollegen, ich hab glaube ich 6 oder 7 griechische Finanzminister während meiner Amtszeit kennengelernt, immer wieder bedeutet, dass sich Griechenland auf einem total falschen Kurs befindet. Das haben wir den Spaniern auch gesagt, das haben wir den Iren auch gesagt, das haben wir den Portugiesen gesagt. Weil wir aber eine informelle Gruppe sind, kann man nicht über Gesprächsteile berichten die sich im Prozess des Zusammenwachsens befinden, bevor man nicht ein integrales Bild nach außen hin vermitteln kann über die Lage und auch über die Instrumente die man zur Anwendung zu bringen gedenkt, die diese Lage beheben können. Wenn ich vor 4 5 Jahren gesagt habe, Griechenland ist auf dem falschem Weg und nicht gleichzeitig gesagt habe was wir denn jetzt tun um die Griechen von diesem Weg abzubringen, ja dann hätte dies an den Finanzmärkten zu erheblichen Verwerfungen geführt, die das griechische Volk in seiner Tiefe so erreicht hätte, dass spätere Konsolidierungsbemühungen eigentlich nicht mehr möglich gewesen wären. Ich hab darunter gelitten. Ich darf das ja heute sagen, dass ich nie alles sagen durfte, weil das Sagen aller Wahrheiten zum falschen Moment zu Bewegungen an den Finanzmärkten geführt hätte, die sehr zum Nachteil der einkommensschwachen Teile der europäischen Bevölkerung gewesen wäre.

HR-Info: Es gibt ja ein Zitat von Ihnen, dass man nicht immer die Wahrheit sagen darf [wird unterbrochen]

Jean-Claude Juncker: Sie zitieren mich freundlichst.

HR-Info: Ja ich bin ja auch ein freundlicher Mensch. Fällt es Ihnen eigentlich leicht das Publikum zu belügen?

Jean-Claude Juncker: Nein, so ist das nicht. Also das hängt mir ja in den Kleidern dieser Satz: wenn es ernst wird, dann muss man lügen. So wollten Sie sich ja eigentlich verstanden wissen. Die Beschreibung war eigentlich folgende: ich habe erklärt, wie in den 90er Jahren, als die Finanzminister alle paar Wochen nach Brüssel einbestellt wurden um Auf- und Abwertungen vorzunehmen, alle Finanzminister, Freitag nachmittags, wenn sie gefragt wurden, findet am Sonntag eine Sitzung des europäischen Währungssystems statt, sagen mussten, nein es findet keine statt. Solange die Finanzmärkte nicht geschlossen sind, kann man nicht sagen, vor Schließung der Märkte, wir reajustieren jetzt das europäische Währungssystem. Deshalb haben alle, ich kann sagen, die Wahrheit nicht gesagt, oder haben alle gelogen, weil es erhebliche Konsequenzen an den Finanzmärkten gehabt hätte und das habe ich erklärt und hab gesagt, wenn es ernst wird, muss man lügen. Ich hab das nicht im Bezug auf das gemeint was jetzt in Europa Sache ist, sondern auf das gemünzt was in Europa Sache war. Und ich muss mich jetzt auch in angenehmen Interviews gegen den Eindruck wehren, als ob ich nichts anderes im Sinn gehabt hätte als die Europäer systematisch zu belügen. Ich hab nicht immer die volle Wahrheit gesagt, wenn ich wusste, dass die Mitteilung in dem Moment der vollen Wahrheit Schaden mit sich bringen würde für - nicht die Kapitalisten, weil die leiden nicht unter meiner Wahrheit - sondern für die einfachen Menschen in Europa und denen fühle ich mich verpflichtet.

HR-Info: Das heißt aber doch, wenn es um Europapolitik geht und auch um Finanzpolitik geht [wird unterbrochen]

Jean-Claude Juncker: Nein nein nein

HR-Info: ...man doch ein getriebener der Finanzmärkte ist, oder?

Jean-Claude Juncker: Nein. Ja, Ja und nein. Man muss Rücksicht nehmen auf irrationale erratische Bewegungen, die die Finanzmärkte aufgrund eines zu schnellen Satzes ereilen können. Ich hab das dieser Tage noch erlebt. Ich hab in einer Rede in einem ganz bestimmten auch fast historischen Zusammenhang gesagt, der Eurokurs ist zu hoch. Und eigentlich habe ich dargestellt, vor einem Jahr haben wir gesagt, die Griechen müssen raus und vor einem Jahr haben wird darüber geklagt, dass der Außenkurs des Euro sich in Richtung 1,20 bewegt. Und jetzt erscheint der Eurokurs vielen als gefährlich hoch. Agenturmeldungen sagen nicht, dass ich da eine wahrheitsgemäße Erklärung der Vorgänge und Vorkommnisse der letzten 12 Monate angeboten habe, sondern die Agenturen schreiben, „Juncker: Eurokurs ist zu hoch“. Da hab ich die Wahrheit noch gesagt. Aber das zeigt wie unwahrscheinlich nervös die Finanzmärkte geblieben sind, obwohl sie wesentlich weniger nervös sind als sie dies vor Jahresfrist noch waren.

HR-Info: Es gibt ja noch eine andere Sache die Ihnen sozusagen, [wird unterbrochen]

Jean-Claude Juncker: Haben Sie noch ein schönes Zitat von mir [wird unterbrochen]

HR-Info: Das ist kein Zitat, aber eine Tatsache. Sie sind ja maßgeblich beteiligt gewesen an der Aufweichung des Stabilitätspaktes. Bedauern Sie das eigentlich heute?

Jean-Claude Juncker: Nein ich widerspreche ausdrücklich dem Eindruck als ob wir den Stabilitätspakt aufgeweicht hätten. Es geht um die Reform desselben im Jahre 2005. Diese Reform wurde unter meinem Vorsitz herbeigeführt und diese Reform besteht in keinerleiweise in einer Aufweichung des Stabilitätspaktes. Weil wir haben dem Stabilitätspakt damals eine volkswirtschaftliche Lesart hinzugegeben, dass wenn ein Land sich in einer rezessiven Phase befindet, man die strikten Haushaltskriterien weniger eng fassen kann. Hätten wir dies nicht getan, wären alle Länder eigentlich, bis nah an den Rand der Sanktionierbarkeit finanzieller Natur gekommen. Es gab nur ein Land das von Anfang an bis jetzt den Stabilitätspakt immer respektiert hat, das ist Luxemburg gewesen. Auch Deutschland wurde erst vor einem Jahr aus der exzessiven Haushaltsprozedur entlassen, musste also zugeben, dass es vorübergehend den Stabilitätspakt, so wie er ursprünglich angedacht war, nicht hat respektieren können. Hätten wir die Reform nicht gemacht, hätte bezahlt werden müssen. Aber ich mische mich in diese Debatte nicht ein. Über das sogenannte Aufweichen des Stabilitätspaktes, weil einige sich so an die Rede gewöhnt haben, dass sie die nicht abstellen würden, wenn ich ihnen das Gegenteil bewiesen hätte.

HR-Info: Wir würden noch einmal ganz gerne schauen auf den Politikertyp Jean-Claude Juncker. Gerade in der Europapolitik. Der ehemalige deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt hat über Sie mal gesagt, Sie sind der letzte verbliebene Europäer. Das hat so ein bisschen was, so von einer aussterbenden Gattung, so etwas Dinosaurier-mässiges.

Jean-Claude Juncker: Es gibt ja in Deutschland niemanden mehr, der es wagt Helmut Schmidt offen zu widersprechen. Wieso sollte ich dies tun, wenn er sich in einer, wie ich finde, belobigenden Art und Weise über mich ausdrückt. Aber ich habe nicht den Eindruck, dass ich mich jetzt auf einem absterbenden Ast befinden würde. Im Übrigen sind Dinosaurier, wie man lesen kann, sympathische Erdbewohner gewesen.

HR-Info: Aber sie sind ausgestorben.

Jean-Claude Juncker: Ja, aber als vorstellbare Tierart bestehen sie weiter.

HR-Info: Ich frage nur deshalb, weil dahinter steckt ja, Sie sagen ja selber, ein Lob. Eine Auszeichnung, ja? Als überzeugter Europäer, und Sie haben ja vorhin auch gesagt, dass es für Sie bei all den konkreten Problemstellungen, die es gibt, immer auch um das Ziel geht, wo es hingehen muss. Würden Sie sagen, das ist heute noch selbstverständlich wenn es um Europapolitik geht?

Jean-Claude Juncker: Nein, das ist nicht selbstverständlich mehr. Ich hab vorhin im ersten Teil unseres Gespräches ja auf diese demographische Lage hingewiesen [wird unterbrochen]

HR-Info: Ich frage im Hinblick auf Ihre Kollegen.

Jean-Claude Juncker: Ja, ja. Kollegen sind auch Menschen. Wir erklären Europa, wie ich finde, falsch. Und das tue ich auch sehr oft. Ich biete sehr oft die falsche Erklärung an. Weil ich immer wieder auf dieses ewige europäische, tragische europäische Dilemma, Krieg und Frieden zurückkomme. Das bleibt ein europäisches Thema. Niemand sollte denken, dass die alten Dämonen verschwunden wären. Die schlafen nur. Und wenn jemand es versteht, sie zum Leben zu erwecken, sind sie schnell wieder da.

Es geht auch um Ressentiments zwischen Nationen. Was ich beobachtet habe, in dieser Auseinandersetzung, Griechenland, was es da an griechenlandfeindlichen Kommentaren in Deutschland gab. Und was es an unakzeptablen Demonstrationsformen in den Athener Straßen, auch die Bundeskanzlerin betreffend, gab, dann sage ich mir, fruchtbar ist der Schoss noch. Und die europäische Integration bleibt ein sehr fragiles Unternehmen. Und es ist ein Irrglauben zu denken, die europäischen Dinge wären endgültig dingfest gemacht worden. Das sind sie nicht. Und daran müssen wir arbeiten.

Aber um jungen Menschen zu erklären, Europa ist eine Friedenmaschine, überzeugt nicht mehr, weil ja die meisten der heute Lebenden keine Kriegserfahrung haben. Wir haben ja auch, so wie wir hier sitzen, keine direkte, nicht mal eine indirekte Kriegserfahrung. Wir sind Kinder der Nachkriegszeit und haben in unseren jungen Jahren noch einige Kriegsspuren beobachten können. Aber haben nichts in unserer Biographie was uns sagen ließe, wir wären Kriegsgeschädigte im moralischen Sinne des Wortes gewesen. Und deshalb verstehen viele jüngere Menschen diese Friedensrethorik nicht. Das ist kein hinreichender Grund um sich nicht mehr in derselben zu üben. Aber man muss andere Erklärungen hinzufügen. Indem man deutlich macht, dass auf sich alleine gestellt, die europäischen Nationen an Flugkraft einbüßen würden. Europäische Nationen haben Flugkraft weil sie Teil einer Europäischen Union sind. Und jeder auf sich allein gestellt hätte diese Flugkapazität nicht. Und man muss Europa von seiner Vergangenheit her erklären. Man muss es aber auch von seiner denkbaren, vorstellbaren Zukunft her erklären. Deshalb mein Hinweis auf das abnehmende demographische und gesamtwirtschaftliche Gewicht der Europäischen Union in der Welt. Und deshalb sind unsere Reden sehr oft nicht komplett genug, weil wir entweder nur über die Zukunft reden, die man ja eh nur erahnen kann, oder eben nur über Vergangenheit reden. Man muss beides zusammennehmen. Vergangenheit und Zukunft ergeben die Erklärung für gegenwärtiges Handeln.

HR-Info: Sie haben ja jetzt demnächst mehr Zeit. Wollen Sie sich dann mehr um Luxemburg kümmern oder gibt es in der EU andere Aufgaben die Sie reizen oder auch vielleicht sogar auf globaler Ebene?

Jean-Claude Juncker: Nein, ich bin jetzt ununterbrochen 30 Jahre lang Mitglied der luxemburgischen Regierung und davon 18 Jahre oder in etwa 18 Jahre Premierminister. Wenn ich mich ohne Selbstmitleid beobachte, dann sage ich, ich hab ja unter Beweis gestellt, dass ich da einiges in Bewegung bringen kann. Wieso sollte es mich jetzt nach neuen Horizonten gelüsten? Ich kümmere mich um die Belange meines Landes, das habe ich auch während der Zeit gemacht in der ich Eurogruppenvorsitzender war. Ich werde wieder mehr Visibilität in Luxemburg erlangen, weil ich mich öfters auch öffentlich in Luxemburg selbst äußern kann. Nein es zieht mich nicht nach andern Ämtern als nach dem das ich jetzt habe.

HR-Info: Wird man Jean-Claude Juncker künftig in Eurodebatten mit seiner Stimme vernehmen oder haben Sie sich vorgenommen auch tatsächlich nicht mehr von der Zuschauertribüne reinzurufen, sozusagen?

Jean-Claude Juncker: Also auf die Zuschauertribüne werde ich mich nicht zurückziehen, sondern bleibe Akteur auf dem Feld. Und ich hab jetzt etwas in Erwartung stehen, das ich mir lange ersehnt habe, ich kann jetzt wiederum sagen was ich will. Und solange ich Eurogruppenvorsitzender war musste ich trotzdem immer ein bisschen darauf aufpassen welche Wirkung die Sätze die ich sagen könnte auf den Finanzmärkten und sonstwo haben könnten. Diese Selbstverpflichtung zur vorsichtigen Äußerung, die entfällt in Zukunft und ich werde mich in die Debatten einmischen, aber ich werde dies in den ersten Monaten nach meinem Abtritt als Eurogruppenchef nicht intensiv betreiben. Aber gehen Sie mal davon aus, dass Sie noch von mir hören werden.

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