Jean-Claude Juncker au sujet du référendum irlandais sur le traité de Lisbonne

Claus Kleber: Jean-Claude Juncker ist seit 13 Jahren Regierungschef eines kleinen Landes, Luxemburg, aber schon immer ein großer Europäer. Er hätte auch der erste ständige Ratspräsident werden können. Guten Abend, Herr Juncker. Dazu müssen Sie jetzt nichts sagen, denn diesen Job wird es erstmal nicht geben.

Jean-Claude Juncker: Das werde ich auch nicht tun.

Claus Kleber: Diesen Job gibt es erstmal überhaupt nicht, weil das nämlich 4 Millionen Iren verhindert haben, dass eine halbe Milliarde Europäer, jetzt einen Schritt nach vorne machen. Was ist das für ein Europa?

Jean-Claude Juncker: Das ist ein Europa, das sich zusammensetzt aus kontinentalen Notwendigkeiten und nationalen Befindlichkeiten. Die Iren, die man heute Abend nicht beschimpfen sollte, weil es handelt sich um einen demokratischen Entscheidungsprozess, haben eher ihrer nationalen Seele den Vorrang gegeben, als den europäischen Notwendigkeiten. Aber Demokratie ist Demokratie, Volk ist Volk, und so ist das also.

Claus Kleber: Und die Folgen sind die Folgen, nämlich, dass das Europa der 27 weiterhin nicht wirklich handlungsfähig ist. Das ist doch nicht zu leugnen?

Jean-Claude Juncker: Das ist nicht zu leugnen, und das tut mir auch im Herzen weh. Man muss sehen: Im Jahre 1900 gab es 20% der Weltbevölkerung, die europäisch war, Ende dieses Jahrhunderts werden 4% der Weltbevölkerung Europäer sein. Wir müssen eine Makroregion in der Welt werden.

Die Entscheidung von heute hat uns zurückgeworfen, aber bedeutet nicht das Ende der Europäischen Union. Wir müssen diesen Ratifizierungsprozess in den anderen Mitgliedsstaaten weiterführen, nächste Woche dem irischen Premierminister zuhören, was er sagt, was er denkt, und dann Mittel und Wege finden, wie wir aus dieser, doch tiefen europäischen Krise gemeinsam herausfinden.

Claus Kleber: Ist das Ihre Strategie, jetzt dadurch, dass 26 andere europäische Staaten zustimmen, soviel Druck auf das kleine Irland auszuüben, dass die halt so lange zur Wahl gehen, bis Europa gewinnt?

Jean-Claude Juncker: Also, ich bin ein Spezialist der kleinen Räume - Luxemburg ist ja auch ein kleiner Raum - und kleine Räume, und kleine Völker, mögen es überhaupt nicht, wenn man ihnen über den Zaun zuruft, was sie denn zu denken und zu tun hätten. Wir müssen uns einfach in konstruktivem Gespräch auf die Iren zubewegen, sie sich auf uns, und dann schauen wir halt, wie wir aus dieser unbequemen Lage, vor allem für die zukünftigen europäischen Generationen, herauskommen. Belehrung ist hier nicht angesagt. Zuhören ist angesagt. Die Iren müssen zuhören und wir müssen zuhören.

Claus Kleber: Wissen Sie was, die grossen Räume mögen es aber auch nicht, wenn ein kleiner über den Zaun ihnen Vorschriften macht, was geht und was nicht geht. Deswegen ist Europa jetzt in dieser tiefen Identitätskrise

Jean-Claude Juncker: Ja, ich nenne das eher das Problem der großen Räume. Es gibt keine große Demokratie in Europa: wenn Frankreich nein stimmt, ist es die große Demokratie die nein sagt, wenn Irland, das ist eine kleinere Demokratie, nein sagt, hat dies dieselbe Gültigkeit, also ob die Franzosen dies gesagt hätten. Und wir müssen jetzt mit der eingetretenen [wird unterbrochen]

Claus Kleber: Aber das ist doch das Problem, Herr Juncker: wenn Sie Demokratien fragen, egal, ob es das große Frankreich ist, oder die kleinen Niederlande, oder die kleinen Irländer, das Volk sagt immer Nein. Nur wenn Sie Regierungen fragen, kriegen wir Jas.

Jean-Claude Juncker: Größere Länder haben nicht mehr Möglichkeiten auf europäische Gestaltungsprozesse einzuwirken, als kleinere Länder. Wobei kleinere Länder wissen müssen, dass sie sich auch um die Größe des Raumes zu kümmern haben. Im Übrigen stimmt das ja nicht. Es hat ja den Verfassungsvertrag betreffend Referenden in Spanien - großes Land - in Luxemburg - kleines Land - gegeben, und Spanien und Luxemburg haben Ja gesagt. Und das, was die Iren heute entschieden haben, ist eigentlich eine Nullentscheidung, ohne dass ich die Iren jetzt beschimpfen möchte. Wenn die Iren Ja gesagt hätten, wären nicht alle europäischen Probleme lösbar gewesen, aber dadurch, dass die Iren heute Nein gesagt haben, sind fast keine europäischen Probleme gelöst worden.

Claus Kleber: Viele Iren, mit denen wir gesprochen haben, haben gesagt, wir verstehen gar nicht, was Europa da will. Die Politiker haben es nicht richtig erklärt. Können Sie uns erklären was sich bessern würde, für die Zuschauer des Heute-Journals, wenn dieser Vertrag in Kraft treten würde?

Jean-Claude Juncker: Wenn dieser Vertrag in Kraft treten würde - und ich hoffe er wird das eines Tages - dann wird Europa schneller, effizienter und gründlicher entscheiden können. Dann wird Europa sozialer werden, weil es eine Sozialverträglichkeitsklausel in diesem Vertrag gibt. Alles muss überprüft werden, daraufhin, ob es sozial verträglich ist. Europa würde in der Welt, in diplomatischen Außenbeziehungen, eine stärkere Rolle spielen können. Die Europäische Union wäre demokratischer geworden, weil das Europäische Parlament viel mehr Mitspracherecht erhält, wäre effizienter geworden, weil wir, in nahezu 40 Bereichen, mit Stimmenmehrheit statt mit Einstimmigkeit entscheiden könnten. Europa wäre demokratischer geworden, weil die nationalen Parlamente - der Bundestag, der Bundesrat - ein größeres Wort hätten mitreden können; weil europäische Bürger ein Volksbegehren in Europa hätten einbringen können, dem prozedural Folge zu leisten gewesen wäre. Dies ist eine Ablehnung eines demokratischen Vertrages. Europa wird durch dieses Votum - und ich wiederhole noch einmal: ich beschimpfe die Iren nicht - wesentlich undemokratischer, als es hätte werden können, wenn dieser Vertrag die irische Rampe geschafft hätte.

Claus Kleber: Also haben sich die Iren geirrt?

Jean-Claude Juncker: Ja.

Claus Kleber: Dankeschön Herr Juncker.

Dernière mise à jour